Hinweis: Dieser Artikel baut auf dem Artikel „Güter, Knappheit & Präferenzen“ auf. Um alles gut zu verstehen, solltest du wissen, unter welchen Umständen aus einer Sache ein Gut werden kann, welche Güterarten es gibt, was es bedeutet, wenn ein Gut knapp ist, warum wir den Wert eines Ziels nicht quantifizieren können, sondern nur die Werte, die verschiedene Ziele für ein Individuum haben, untereinander vergleichen können, und dass Güter, Knappheit und Wert subjektiv sind.
Die Bedeutung oder Wichtigkeit, die ein Gut für die Erreichung der Ziele eines Individuums hat, nennen wir den Nutzen des Guts – es handelt sich dabei um ein subjektives Konzept. Je höher die Ziele, zu deren Erreichung das Gut beiträgt, gewertet werden und je höher der Beitrag zur Erreichung dieser Ziele ist, desto größer ist der Nutzen des Guts. Wie die Wichtigkeit von Zielen lässt sich Nutzen nicht quantifizieren und es gibt keinen objektiven Maßstab, mit dem man den Nutzen, den eine Sache für verschiedene Menschen hat, vergleichen könnte. Wie in „Güter, Knappheit & Präferenzen“ erwähnt, unterteilen manche Ökonomen Güter in knappe Güter und freie Güter, während andere Ökonomen Knappheit als Grundvoraussetzung sehen, damit wir überhaupt von einem Gut sprechen können. Erstere würden sagen, dass wenn eine Sache einen Nutzen hat, das noch nicht heißen muss, dass sie einen Wert im ökonomischen Sinne besitzt, denn der Wert eines Guts entsteht durch seinen Nutzen in Relation zu seiner Knappheit. Im umgangssprachlichen Sinne kann man zwar durchaus Aussagen wie „Luft ist wertvoll“ treffen, aber wie im eben angesprochenen Artikel erklärt, ist Luft für uns in den meisten Situationen kein knappes Gut und hat daher keinen ökonomischen Wert. Für Ökonomen, die nur knappe Güter als Güter ansehen, hat dagegen jedes Gut einen Wert. Als Wert eines Guts bezeichnen wir den Nutzen, der in konkreten und knappen Gütereinheiten handlungswirksam wird. Damit ist der Wert des Guts ebenfalls wie der Wert des Ziels subjektiv, nicht messbar und nicht quantifizierbar, aber wir können die Werte, die verschiedene Güter für ein Individuum haben, vergleichen und ordnen, wie es bei den Zielen der Fall ist. Wenn jemand lieber Fußball spielt als Schach, und deshalb einen Fußball höher wertet als ein Schachbrett, können wir nicht sagen, um wie viel höher der Wert des Fußballs für denjenigen ist.
Erinnern wir uns kurz an die verschiedenen Güterarten: Die Konsumgüter, die Bedürfnisse direkt befriedigen, und die Produktionsfaktoren, die Bedürfnisse indirekt befriedigen, indem sie an der Herstellung von Konsumgütern oder von Produktionsfaktoren, die näher am fertigen Endprodukt sind, beteiligt sind. Konsumgüter haben für uns offensichtlich einen Wert, weil wir die Ziele, die wir mit ihnen erreichen wollen, als wertvoll erachten. Produktionsfaktoren erster Ordnung werden nur deshalb wertgeschätzt, weil von ihnen erwartet wird, dass sie Konsumgüter produzieren, die dann wiederum in der Zukunft Bedürfnisse befriedigen. Produktionsfaktoren zweiter Ordnung werden wertgeschätzt, weil sie die Produktionsfaktoren erster Ordnung produzieren, die wir aus dem eben genannten Grund wertschätzen, und so weiter. Wert entsteht also aus den Bedürfnissen der Menschen heraus, überträgt sich von dort auf die Konsumgüter und weiter auf die Produktionsfaktoren. Wert entsteht nicht aus der Tatsache, dass Arbeit für etwas aufgewendet wird, im Gegenteil: Menschen wenden Arbeit für Dinge auf, weil diese Dinge als wertvoll erachtet werden, nicht umgekehrt.
Teilweise wird der Fehler gemacht, den Wert einer Sache mit ihrem Preis gleichzusetzen. Das ist aber falsch, Werte und Preise sind zwei verschiedene Konzepte. Hinter Preisen stehen zwar Werte, aber andersrum muss das nicht der Fall sein: Zum Beispiel kann ich die Äpfel, die ich in meinem Garten geerntet habe, als wertvoll erachten, aber solange ich sie nicht gegen etwas eintausche, haben sie keinen Preis. Außerdem sind Preise im Gegensatz zu Werten etwas quantifizierbares und objektives. Was genau Preise sind und wie sie sich bilden soll aber Thema für einen anderen Artikel sein.
Wenn man über Nutzen spricht, dann kommt man nicht um den Begriff des Grenznutzens herum. Dafür betrachten wir Güter, die von dem Handelnden als homogen wahrgenommen werden, das heißt, der Handelnde betrachtet jede Einheit des Guts als beliebig durch eine andere Einheit desselben Guts austauschbar, es gibt keine Unterschiede zum Beispiel hinsichtlich der Qualität, die er als relevant empfindet. Solche Güter werden nach ihrem Grenznutzen bewertet. Wenn der Handelnde nur eine Einheit von einem Gut, das er als homogen wahrnimmt, besitzt, dann verwendet er sie für das für ihn wichtigste damit erreichbare Ziel. Was passiert nun, wenn er eine zweite Einheit dazubekommt? Ist der Nutzen dieser Gütereinheit dann genauso hoch wie der der ersten Gütereinheit? Die Antwort ist nein, der Nutzen der zweiten Gütereinheit ist geringer als der der ersten, denn das Ziel, für das er die zweite Einheit verwendet, hat für ihn einen geringeren Wert als das Ziel, für das er die erste Einheit verwendet. Kommt nun noch eine weitere Einheit hinzu, so hat diese für ihn einen noch geringeren Nutzen als die zweite Einheit, denn sie befriedigt ein Ziel, das noch weniger wertgeschätzt wird, und so weiter. Den zusätzlichen Nutzen, den eine Gütereinheit bringt, die als letzte neu zu einem Bestand hinzukommt, nennen wir den Grenznutzen des Guts, und die Tatsache, dass der Grenznutzen mit jeder weiteren neu hinzukommenden Einheit abnimmt, da dadurch ein weniger wichtiges Ziel befriedigt wird, heißt das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Der Gesamtnutzen aller Gütereinheiten wächst natürlich trotzdem mit jeder weiteren hinzukommenden Einheit, aber der zusätzlich gewonnene Nutzen einer einzelnen, neu hinzukommenden Einheit nimmt ab.
Auch wenn ein Handelnder eine Einheit eines Guts verliert, sprechen wir vom Grenznutzen, das ist dann der verlorengegangene Nutzen, den die Gütereinheit für den Handelnden hatte. In dem Fall verzichtet der Handelnde auf das Ziel, das für ihn unter allen mit dem kompletten Bestand erreichbaren Zielen am wenigsten Wert hat. Wenn er dann noch eine weitere Einheit desselben Guts verliert, dann ist der verlorene Nutzen ein höherer als der der Einheit, die er zuerst verloren hat, weil er mit dieser zweiten verlorenen Gütereinheit ein Ziel aufgibt, das für ihn einen höheren Wert hat, als das Ziel, auf dessen Erfüllung er mit der ersten verlorenen Gütereinheit verzichtet hat.
Vielleicht klingt das Konzept des Grenznutzens erst einmal nicht besonders bedeutsam, aber wir werden später noch sehen, welche wichtigen Schlüsse wir aus der Tatsache, dass wir Güter nach ihrem Grenznutzen bewerten, ziehen können, vor allem wenn es darum geht, Handel zu verstehen oder die Auswirkungen von Inflation abschätzen zu können.
Noch ein kleines Beispiel zur Veranschaulichung: Unter allen Zielen, für die ich Schokolade als Mittel benötige, ist es mir am wichtigsten, mir morgen eine Tafel mit meiner besten Freundin zu teilen, am zweitwichtigsten, damit einen Schokokuchen zu backen, am drittwichtigsten, heute Abend eine Tafel zu essen und am viertwichtigsten eine Tafel auf Vorrat zu haben. Ich habe drei Tafeln, die ich für die ersten drei Ziele einplane. Der Nutzen der ersten Tafel ist bestimmt durch den Wert, den das Teilen der Schokolade mit meiner Freundin für mich hat, der Nutzen der zweiten Tafel durch den Wert des Schokokuchens, und der Nutzen der dritten Tafel durch den Wert, den das Ziel, heute Abend Schokolade zu essen, für mich hat. Dabei sind diese Tafeln natürlich nicht durchnummeriert, sondern beliebig untereinander austauschbar. Wie ich eine einzelne dieser Tafeln bewerte, wird deutlich, wenn ich eine verliere. Wenn zum Beispiel mein hungriger Mitbewohner ohne zu fragen eine Tafel aufisst, dann verzichte ich nicht etwa darauf, mir mit meiner Freundin Schokolade zu teilen oder den Schokokuchen zu backen, sondern darauf, heute Abend Schokolade zu essen. Wenn mein Mitbewohner mir zur Wiedergutmachung zwei Tafeln kauft, kann ich doch noch Schokolade essen und dazu eine Tafel auf Vorrat lagern. Der Nutzen der zweiten Tafel, die er mir schenkt, ist für mich allerdings geringer als der der ersten geschenkten Tafel, weil es für mich weniger wichtig ist, eine Tafel auf Vorrat zu haben, als heute Abend eine zu essen. Das gilt natürlich alles nur unter der Voraussetzung, dass sich meine Präferenzskala nicht zwischenzeitlich geändert hat.
Mit dem Wissen über den Grenznutzen lässt sich auch das im Artikel „Die Logik des menschlichen Handelns: Praxeologie“ angesprochene Diamanten-Wasser-Paradoxon auflösen: Jahrhundertelang war die Frage ungeklärt, warum wohl fast jeder Mensch behaupten würde, dass Wasser eines der wertvollsten Güter überhaupt ist, aber, wenn er vor die Wahl gestellt wird, einen Diamanten einem Glas Wasser vorziehen würde. Die Antwort liegt darin begründet, dass wir Güter nach ihrem Grenznutzen bewerten und nicht nach dem Nutzen der Gesamtmenge. Die meisten Menschen besitzen keinen Diamanten, aber ihnen steht reichlich Wasser zur Verfügung. Der Grenznutzen eines Diamanten ist damit für sie in der Regel höher als der Grenznutzen einer weiteren Einheit Wasser und daher würden sich wohl die meisten Menschen für den Diamanten entscheiden. Würde die Frage dagegen lauten, soll eher alles Wasser auf der Welt verschwinden oder alle existierenden Diamanten, wäre die Antwort eine ganz andere, denn dann geht es wirklich um den Gesamtnutzen und um unser Überleben. Auch in Ausnahmesituationen könnten Menschen durchaus das Wasser vorziehen. Ein Verdurstender in der Wüste, dessen wichtigstes Ziel es ist, zu überleben, würde mit Sicherheit das Glas Wasser wählen, denn es wäre die erste Einheit Wasser in seinem Besitz und er könnte mit ihr sein wichtigstes Ziel befriedigen, daher ist der Grenznutzen des Wassers für ihn sehr hoch.
Widmen wir uns einem weiteren wichtigen Konzept: Jede Handlung ist mit Kosten verbunden, auch Opportunitätskosten genannt. Die Kosten einer Handlung sind bestimmt durch den Wert der nächsthöheren Präferenz, also durch das Ziel, das dem Handelnden nach demjenigen, das er tatsächlich anstrebt, am wichtigsten ist, auf dessen Erfüllung er allerdings zugunsten der gewählten Handlung verzichtet. Kosten sind also das, was der Handelnde für die Handlung aufgibt und sind wie Wert ebenfalls subjektiv. Wenn der Wert, den der Zustand, der durch die Handlung herbeigeführt wurde, für den Handelnden höher ist als die Kosten der Handlung, dann sprechen wir davon, dass der Handelnde Gewinn gemacht hat, andernfalls sprechen wir von Verlust. Wenn ich zum Beispiel vor der Wahl stehe, ob ich heute Abend auf ein Konzert gehe oder einen Freund besuche, und mich für das Konzert entscheide, das mir dann aber doch nicht so gut gefällt wie erhofft und ich es bereue, nicht doch meinen Freund besucht zu haben, dann habe ich Verlust gemacht, ich hätte meine Mittel – was in dem Fall vor allem meine Zeit ist – sinnvoller einsetzen können. Um Gewinn zu machen, muss ein Handelnder allerdings nicht zwangsläufig tatsächlich sein Ziel erreichen, es kann auch sein, dass er einen anderen Zustand herbeiführt als beabsichtigt, aber solange er diesen dennoch höher wertschätzt als die Kosten, hat er Gewinn gemacht. Andererseits kann er zwar durchaus sein Ziel erreicht haben, aber im Nachhinein feststellen, dass es eine bessere Handlungsalternative gegeben hätte, die er falsch eingeschätzt oder nicht bedacht hat, dann hat er Verlust gemacht, obwohl er sein ursprüngliches Ziel erreicht hat.
Leider werden Kosten jedoch häufig übersehen oder falsch eingeschätzt, weil sie nicht unmittelbar sichtbar sind.
Auch wenn das alles für den ein oder anderen ziemlich rational, kühl und berechnend klingen mag – Handeln kann, muss aber nicht so sein. Eine Handlung kann auch spontan, vorschnell, aus einer Laune oder aus dem Bauch heraus oder von irrationalen Gefühlen geleitet sein und folgt trotzdem den hier beschriebenen Prinzipien, auch bei solchen Handlungen besitzt das angestrebte Ziel in dem Moment für den Handelnden den größten Wert und er setzt dafür Mittel ein, die für ihn einen Nutzen haben. Im Gegensatz dazu steht der Homo oeconomicus, auch rationaler oder repräsentativer Agent genannt. In seiner ursprünglichen Form ist das grob gesagt das theoretische Modell eines rein von wirtschaftlichen Beweggründen geleiteten Menschen, das nicht mit einschließt, dass Menschen zum Beispiel auch moralische Beweggründe haben, nach anderen Idealen streben, im Affekt oder leichtsinnig handeln oder verschwenderisch sein können. Die Österreichische Schule lehnt dieses Modell ab.
Empfehlungen:
Vorträge:
- Phillip Bagus: „Preis- und Werttheorie“, „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“
Bücher:
- Murray Rothbard: „Man, Economy & State“
- Rahim Taghizadegan: „Alles, was Sie über die Österreichische Schule der Nationalökonomie wissen müssen“, „Wirtschaft wirklich verstehen“
- Carl Menger: „Grundsätze der Volkswirtschaftslehre“